Titelbild der Freien Sportwoche Nr. 28 vom 15. Juli 1925
Titelbild der Freien Sportwoche Nr. 28 vom 15. Juli 1925

Viele werden mit dem Begriff "Arbeitersport" nichts anzufangen wissen. Ist ja auch schon eine ganze Weile, seit es diesen gab. Die Arbeiterbewegung schuf sich Ende des vorvergangenen Jahrhunderts - 1893 im thüringischen Gera - eine eigene Sportorganisation, die man zunächst mit Arbeiter - Turnerbund ( ATB ) bezeichnete und 1919 in Arbeiter - Turn- und Sportbund ( ATSB ) umbenannte. Aus kleinen Anfängen heraus entstand ein Verband, der mit den Jahren stetig anwuchs. Dieser wurde im Frühjahr 1933 von den nationalsozialistischen Machthabern verboten und aufgelöst; zu diesem Zeitpunkt gehörten dem Verband rund 7500 Mitgliedsvereine mit annähernd 800000 Mitgliedern an.

Nach der Gründung des ATB entstanden weitere Arbeitersport-Organisationen. So konstituierten sich im Jahre 1896 in Offenbach/Main der Arbeiter-Radfahrer-Bund Solidarität, 1895 in Wien die Naturfreunde-Bewegung, 1897 der Arbeiter-Schwimmerbund, 1901 der Freie Seglerverband, 1906 der Arbeiter-Athletenbund und eine Reihe kleinerer Verbände, die sich 1912 zur Zentralkommission für Arbeitersport und Körperpflege ( ZK ) zusammenschlossen.

Schon in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg begann man in manchen Kreisen des ATSB - mitunter findet man auch die Abkürzung ATuS - auch mit dem Fußballspiel ( der Verband war in Kreise unterteilt, diese wiederum in Bezirke ), nachdem zunächst ausschließlich das Turnen betrieben wurde. Nach dem 1. Weltkrieg bekam auch die Arbeitersportbewegung mächtig Auftrieb. Das Fußballspiel verdrängte mehr und mehr das Turnen, und so entwickelte sich diese Sportart schnell zu einer festen Größe auch innerhalb des ATSB. Man organisierte sich genauso wie das bei den dem DFB angeschlossenen Landesverbänden der Fall war und ermittelte so jedes Jahr "seinen" deutschen Meister. Mehr noch. Auch Länderspiele gegen die jeweilige Arbeiter-Fußball-Nationalmannschaft in anderen Ländern wurden ausgetragen. Das Verhältnis zu den "bürgerlichen" Vereinen, also den Vereinen, welche dem DFB angeschlossen waren ( damals waren die Vereine - anders als heute - unmittelbar dem Dachverband DFB angeschlossen ), war angespannt bis feindselig, vertraten doch die "bürgerlichen" Vereine das Bürgertum, also den Klassenfeind. Und genau hier liegt das Paradoxum, da eine große Anzahl von Arbeitern Mitglied in den "bürgerlichen" Vereinen waren. Dieser Gegensatz zwischen politischem Bekenntnis bzw. Zugehörigkeit zu einer politischen Klasse und sportlichem Organisationsverhalten erklärt sich durch das anfängliche Festhalten des ATB an turnerischen Traditionen gegenüber der Spielbewegung und somit durch deren zögernde Adaption, den nach wie vor geltend gemachten Vorbehalten  gegenüber dem Fußballsport und den zeitlichen Abläufen der Reorganisation des Bundes nach Beendigung des 1. Weltkriegs.

Das Dilemma der Arbeitersportbewegung war ferner, daß die Arbeiterbewegung - nicht nur in Deutschland - in den 20-er Jahren mit einem latenten Spaltungsprozeß zu kämpfen hatte. Mittlerweile hatte man sich  auch international organisiert und mit der Sozialistischen Arbeitersport-Internationale ( SASI ) eine Interessenvertretung gegründet, der jedoch eine kommunistische Gegenorganisation, die Rote Sport-Internationale ( RSI ), erwuchs. So hatte also der Arbeitersport an zwei Fronten zu kämpfen: sowohl im "eigenen" Lager als auch gegen die "Bürgerlichen". Dies führte dazu, daß sich im Jahre 1928 in Deutschland eine eigenständige kommunistische Sportorganisation gründete, die sog. Interessengemeinschaft zur Wiederherstellung der Einheit im Arbeitersport ( IG ); bereits ein Jahr später gab man sich den Namen Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit ( KG ). Die Spaltung innerhalb der Arbeitersportbewegung muß man also so verstehen, daß innerhalb der Vereine Diskussionen entstanden, ob man dem "alten" , sozialdemokratischen Arbeitersportverband weiterhin angehören oder zum "neuen", kommunistischen Sportverband wechseln soll. Die Gräben gingen mitten durch die Vereine. Manche Vereine traten geschlossen zum neuen Verband über, andere wiederum spalteten sich, so daß es in vielen Orten zwei Arbeitersportvereine gab: einen, der ( weiterhin ) dem sozialdemokratischen "Lager" angehörte und einen, der zum kommunistischen "Lager" wechselte. Und auch die IG organisierte sich und trug erstmals in der Saison 1930/31 reichsweit eigenständig organisierte Verbandsspiele bis hin zur deutschen Meisterschaft aus.

Wissen sollte man noch, dass sich die Arbeitersportbewegung auch in terminologischer, also begrifflicher, Hinsicht von der bürgerlichen Sportbewegung unterschied. Die Verbandsspiele nannte man nicht Verbandsspiele sondern Serienspiele ( eine Verbandsrunde hieß Serie ), und die Nationalmannschaft hieß nicht Nationalmannschaft sondern Bundesauswahl. In diesem Zusammenhang möchten wir auf ein gerade erst erschienenes Buch hinweisen, das eine echte Lücke schließt. Es trägt den Titel "Die andere Fußball-Nationalmannschaft" mit dem Untertitel "Bundesauswahl der deutschen Arbeitersportler 1924 - 1932", erschienen 2011 im Verlag DIE WERKSTATT. Das Buch listet alle Länderspiele der deutschen Arbeiterfußball-Nationalmannschaft auf und leistet wertvolle Hilfe, dieses Kapitel deutscher Fußballhistorie zu verstehen.

Gegliedert war der ATSB wie auch die IG bzw. KG in Kreise und diese wiederum in Bezirke. Für unsere Betrachtung interessant sind die Kreise 7 ( Nordbayern ), 8 ( Württemberg ), 9 ( Hessen und Hessen-Nassau ), 10 ( Baden-Pfalz-Saar ) und 19 ( Südbayern ).

Zunächst gab es eine A- und eine B-Klasse, ab der Saison 1921/22 installierte man - unter Beibehaltung der beiden bisherigen Spielklassen - die Sonderklasse als höchste Spielklasse. Beginnend mit der Saison 1925/26 änderte man den Austragungsmodus der Serienspiele. Künftig begannen diese bereits im Februar/März eines jeden Jahres und dauerten - unterbrochen durch eine Sommerpause - bis November/Dezember; man spielte also parallel zum Kalenderjahr.

 

Einige Literaturhinweise zum Arbeitersport ( in alpabetischer Reihenfolge )

A. ALLGEMEIN

- STILLER, Eike: LITERATUR ZUR GESCHICHTE DES ARBEITERSPORTS IN DEUTSCHLAND VON 1892 BIS 2005

336 Seiten, Berlin, 2006

- TIMMERMANN, Heinz: GESCHICHTE UND STRUKTUR DER ARBEITERSPORTBEWEGUNG 1893-1933

192 Seiten, Ahrensburg, 1973 ( Diss. )

- UEBERHORST, Horst: FRISCH, FREI, STARK UND TREU

DIE ARBEITERSPORTBEWEGUNG IN DEUTSCHLAND

352 Seiten, Düsseldorf, 1973

- WAGNER, Helmut: SPORT UND ARBEITERSPORT

222 Seiten, Berlin, 1931

- WILDUNG, Fritz: ARBEITERSPORT

158 Seiten, Berlin, 1929

- WONNEBERGER, Günther: DEUTSCHE ARBEITERSPORTLER GEGEN FASCHISTEN UND MILITARISTEN

234 Seiten, Berlin, 1956

 

B. SPEZIELL ZUM FUSSBALL

- FILTER, Frank: ARBEITERFUSSBALL IN DER ARBEITER-TURN- UND SPORTBEWEGUNG

142 Seiten, Marburg 1987 ( Dipl.Arbeit )

- FROMMHAGEN, Rolf: DIE ANDERE FUSSBALL-NATIONALMANNSCHAFT

BUNDESAUSWAHL DER DEUTSCHEN ARBEITERSPORTLER 1924 - 1932

272 Seiten, Göttingen 2011

- GEIGES, Lars: FUSSBALL IN DER ARBEITER-, TURN- UND SPORTBEWEGUNG

120 Seiten, Stuttgart 2011

- LINDNER, Rolf / BREUER, Heinrich Th.: "SIND DOCH NICHT ALLES BECKENBAUERS"

Zur Sozialgeschichte des Fußballs im Ruhrgebiet

172 Seiten, Frankfurt/Main 1978 ( erschienen in mehreren Auflagen )

- WOLTER, Christian: ARBEITERFUSSBALL IN BERLIN UND BRANDENBURG 1910 - 1933

232 Seiten, Hildesheim 2015

- ZÖLLER, Martin u. a.: FUSSBALL IN VERGANGENHEIT UND GEGENWART ( 2 Bände )

je 200 Seiten, Berlin 1978  ( DDR-Sichtweise ! )

 

Die Kreise im ATSB

Zum Zeitpunkt seiner Auflösung war der ATSB in folgende Kreise und Bezirke untergliedert:

 

1. Kreis Brandenburg, Berlin

Sitz: Berlin

Bezirke: 1. Berlin – Ost 2. Berlin – Nord 3. Berlin – West 4. Berlin – Süd

 

2. Kreis Prov. Sachsen, Anhalt, Braunschweig

Sitz: Bernburg

Bezirke: 1. Halberstadt 2. Magdeburg 3. Dessau 4. Aschersleben 5. Braunschweig 6. Halle 7. Eisleben 8. Bitterfeld

 

3. Kreis Hamburg, Lübeck, Schleswig – Holstein, Mecklenburg, Hannover

Sitz: Hamburg

Bezirke: 1. Hamburg 2. Kiel 3. Lübeck 4. Mecklenburg

 

4. Kreis Sachsen

Sitz: Dresden

Bezirke: 1. Leipzig 2. Dresden 3. Chemnitz 4. Löbau – Bautzen 5. Mittweida 6. Zwickau 7. Schwarzenberg 8. Plauen 9. Freital 10. Pirna 11. Riesa 12. Zittau 13. Limbach 14. Burgstädt 15. Zschopau

 

5. Kreis Thüringen

Sitz: Jena

Bezirke: 1. Gera 2. Erfurt 3. Nordhausen 4. Zeitz 5. Altenburg 6. Gotha 7. Gefell 8. Pössneck 9. Bad Salzungen 10. Weimar 11. Langewiesen

 

6. Kreis Rheinland – Westfalen

Sitz: Köln

Bezirke: 1. Köln 2. Solingen 3. Velbert 4. Hagen 5. Dortmund 6. Essen 7. Düsseldorf 8. Krefeld 9. Aachen

10. Hamm 11. Annen 12. Bochum 13. Gelsenkirchen 14. Koblenz

 

7. Kreis Nordbayern

Sitz: Nürnberg

Bezirke: 1. Nürnberg 2. Regensburg 3. Hof 4. Schweinfurt 5. Stockheim 6. Weiden 7. Koburg 8. Bayreuth 9. Marktredwitz 10. Ingolstadt

 

8. Kreis Württemberg und Bodenseekreis

Sitz: Stuttgart

Bezirke: 1. Stuttgart 2. Göppingen 3. Heilbronn 4. Schwenningen 5. Reutlingen 6. Cannstatt 7. Kornwestheim 8. Esslingen

 

9. Kreis Hessen, Mittelrhein

Sitz: Frankfurt

Bezirke: 1. Darmstadt 2. Frankfurt a.M. 3. Wiesbaden 4. Dornheim „Wetterau“ 5. Erlenbach ( Odw.)

 

10. Kreis Baden, Pfalz

Sitz: Mannheim

Bezirke: 1. Lörrach 2. Speyer 3. Karlsruhe 4. Mannheim 5. Freiburg 6. Zweibrücken 7. Weinheim

 

11. Kreis Nordwestdeutschland, Bremen, Oldenburg, Hannover

Sitz: Bremen

Bezirke: 1. Wilhelmshaven 2. Bremen 3. Hannover 4. Bielefeld 5. Bremerhaven 6. Osnabrück 7. Minden 8. Hildesheim

 

12. Kreis Ost- und Westpreußen

Sitz: Königsberg

Bezirke: 1. Königsberg 2. Elbing 3. Danzig

 

13. Kreis Hessen – Nassau

Sitz: Kassel

Bezirke: 1. Kassel 2. Hannover-Münden 3. Besse 4. Harleshausen 5. Oberkaufungen 6. Eschwege 7. Immenhausen 8. Elgershausen 9. Niederzwehren 10. Göttingen

 

14. Kreis Schlesien

Sitz: Breslau

Bezirke: 1. Breslau 2. Görlitz 3. Gleiwitz-Hindenburg 4. Waldenburg 5. Oppeln 6. Liegnitz 7. Glatz 8. Glogau – Sagan 9. Landeshut

 

15. Kreis Pommern

Sitz: Stettin

Bezirke: 1. Stralsund 2. Stettin 3. Köslin 4. Swinemünde

 

16. Kreis Lausitz

Sitz: Forst

Bezirke: 1. Cottbus 2. Forst 3. Finsterwalde 4. Landsberg

 

17. Kreis Niederösterreich, Steiermark, Burgenland

Sitz: Wien

Bezirke: 1. Wien 2. Mödling 3. Wiener Neustadt 4. St. Pölten 5. Stockerau 6. Waldviertel 7. Mürztal 8. Graz

 

18. Kreis Oberösterreich, Salzburg, Tirol

Sitz: Linz

Bezirke: 1. Linz 2. Salzburg 3. Steyr 4. Gmunden 5. Innsbruck

 

19. Kreis Südbayern

Sitz: München

Bezirke: 1. München 2. Augsburg 3. Starnberg 4. Rosenheim

 

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